Am 4. Juli 1991 gründeten Aktivisten das Hüttendorf Anatopia in Burlage, nahe Papenburg im Emsland. Im Moor, geprägt von dunklen Torfböden, feuchten Wiesen, Schilfzonen und kleinen Kanälen, bauten sie Holzhütten, stellten Solarpanels auf und legten Gemüsegärten an. Offiziell protestierten sie gegen die geplante Mercedes-Benz-Teststrecke (heute ATP Papenburg), die 2.800 Hektar Natur für Autotests asphaltieren sollte. Doch die Motive waren gemischt: Für einige ging es um den Schutz des Moors und seiner Tier- und Pflanzenarten wie Torfmull und Moorfrosch. Andere nutzten Anatopia, um ihren alternativen Lebensstil auszuleben – ein Ort für freie Ideen, Selbstverwirklichung oder anarchistische Träume, oft losgelöst von der Umweltfrage.

Bis zu 100 Menschen lebten zeitweise in Anatopia, besonders im Sommer. Sie organisierten Blockaden gegen Baumaschinen, ketteten sich an Zufahrten und verhandelten mit Behörden. Das Dorf wurde ein Symbol: Für die einen ein Kampf gegen die Zerstörung der Natur, für die anderen eine Bühne für persönliche Ideologien. Die Proteste zogen europaweite Aufmerksamkeit auf sich, mit Unterstützung von Umweltgruppen wie NABU, aber auch Kritik von Anwohnern, die den Lärm und die Unordnung im Dorf ablehnten. Mercedes und lokale Behörden drängten auf den Baustart, da die Teststrecke Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Aufschwung versprach. Nach vier Jahren eskalierte der Konflikt: Im Oktober 1995, zwischen dem 10. und 15., also vor genau 30 Jahren -räumte die Polizei das Hüttendorf. Beamte setzten Wasserwerfer und Gewalt ein, rissen Hütten mit Baggern ein und entfernten die letzten Aktivisten. Die Teststrecke wurde 1998 eröffnet, das Moor teilweise zerstört.

Die Dokumentation „Anatopia [1996, squatting documentary, gr subs, FULL]“ (YouTube) zeigt das Hüttendorf, das Moor vor dem Bau und die Räumung. Entschuldigung für die teils schlechte Qualität des Filmmaterials: Die Schwarz-Weiß- und Farbaufnahmen von 1991–1995 sind oft grobkörnig, typisch für Amateur- und Archivfilme der Zeit, mit unscharfen Drohnenaufnahmen und schlechtem Ton. Dennoch fängt der Film die Landschaft ein: weite Moorfelder, Hütten zwischen Schilf, die Konfrontation von Natur und Baumaschinen. Im Oktober 2025, zum 30. Jahrestag der Räumung, erinnert Anatopia an diesen Zwiespalt: ein Protest, der zwischen Naturschutz und Selbstinszenierung schwankte, in einer Landschaft, die für immer verändert wurde.

Foto: Ostfriesische Nachrichten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert