Stellen Sie sich vor: Es ist das Jahr 1934, mitten in der turbulenten Zwischenkriegszeit Deutschlands. Der Ingenieur Hermann Kemper sitzt in seiner Werkstatt und skizziert eine revolutionäre Idee – eine Bahn, die nicht auf Schienen rollt, sondern schwebt, angetrieben von unsichtbaren Magnetfeldern. Sein Patent für eine „Schwebebahn mit räderlosen Fahrzeugen“ ist der Funke, der eine technologische Revolution entzünden sollte. Doch der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegsjahre lassen die Vision ruhen. Erst in den späten 1940er und 1950er Jahren, als Deutschland sich aus den Trümmern erhebt, beginnen erste Experimente. Die Idee gewinnt an Fahrt, und ab 1969, unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, finanziert die Regierung eine Machbarkeitsstudie. Es ist der Auftakt zu Jahrzehnten harter Arbeit, bei der Giganten wie Siemens und ThyssenKrupp Milliarden investieren, um die Magnetschwebebahn – den Transrapid – zur Realität zu machen.

Die 1970er und 1980er Jahre werden zur Ära des Triumphs. Auf der Internationalen Verkehrsausstellung 1979 in Hamburg rast der Transrapid 05 vor staunenden Augen dahin. Die Teststrecke im Emsland bei Haren (Niedersachsen), ab 1984 in Betrieb, schießt Geschwindigkeiten bis zu 450 km/h in die Höhe und demonstriert die umweltfreundliche Natur der Technologie: Leise, vibrationsarm und mit einem Energieverbrauch, der deutlich unter dem konventioneller Hochgeschwindigkeitszüge liegt – ideal für eine nachhaltige Mobilität. 1991 gilt das System als einsatzreif, mit Potenzial, den CO₂-Ausstoß im Verkehrssektor drastisch zu senken. Deutschland steht am Rande eines Quantensprungs: Hochgeschwindigkeitsverbindungen, die den Kontinent verbinden, CO₂-Einsparungen im Gigatonnen-Bereich und ein Export-Hit, der Milliarden bringen könnte. Doch hier beginnt der dramatische Wendepunkt.

In den 1990er Jahren formiert sich Widerstand. Die Grünen und Umweltbewegungen, angeführt von Sylvia Voß, sammeln über 133.000 Unterschriften gegen Projekte wie die Strecke Berlin-Hamburg. Kosten explodieren, Ideologien prallen aufeinander. Es ist schon bemerkenswert: Eine Partei, die heute vorgibt, für „klimaneutrale“ Technologien zu kämpfen, bekämpfte damals mit allen Mitteln eine der umweltfreundlichsten Verkehrstechnologien, die je entwickelt wurde. Die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer trifft 2000 die Entscheidung – der Transrapid wird in Deutschland begraben. Stattdessen: Ein Geschenk an die Welt. Im Jahr 2001 sichert sich ein deutsches Konsortium einen Deal mit China für eine Strecke in Shanghai. Technologie, Know-how, sogar Fahrzeuge und Komponenten werden übertragen.

Die zentrale Entscheidung, den Bau der Transrapid-Strecke Berlin–Hamburg zu stoppen, wurde im Februar 2000 von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder getroffen. Verkehrsminister Reinhard Klimmt (SPD) legte das Projekt offiziell zu den Akten. Gründe waren die explodierenden Kosten (von 2 Mrd. DM auf über 6 Mrd. Euro), unklare Rentabilitätsprognosen der Deutschen Bahn und starker Widerstand von Umweltgruppen (z. B. Grüne mit über 133.000 Unterschriften). Der Exportdeal mit China für die Shanghai-Maglev-Linie wurde bereits 2001 abgeschlossen, ebenfalls unter Schröder, inklusive Technologietransfer.

Am 22. September 2006 ereignet sich auf der Teststrecke in Haren ein tragischer Unfall. Zwei Züge prallen bei 200 km/h frontal zusammen, 23 Menschen sterben. Die Ursache? Menschliches Versagen – ein Fahrdienstleiter hatte ein Wartungsfahrzeug auf der Strecke vergessen. Die Technologie selbst war einwandfrei, doch der Vorfall wird von Gegnern instrumentalisiert und beschleunigt das Ende des Projekts in Deutschland. Der Unfall in Haren 2006  hatte keinen direkten Einfluss auf den Stopp des nationalen Projekts, die Entscheidung  das Projekt zu stoppen war bereits 2000 gefallen.

China, das aufstrebende Riesenreich, greift zu. Die Shanghai-Maglev-Linie eröffnet 2004 als weltweit erste kommerzielle Magnetschwebebahn: 30 Kilometer vom Flughafen Pudong ins Stadtzentrum, bei bis zu 431 km/h. Es ist ein Hit – Millionen Passagiere jährlich, rentabel und ein Symbol für Chinas Ambitionen. Doch die Chinesen ruhen sich nicht aus. Basierend auf dem deutschen Erbe entwickeln Firmen wie CRRC (China Railway Rolling Stock Corporation) die Technologie weiter. Ab 2010 präsentiert der „CM1-Dolphin“ das erste vollständig eigenproduzierte Maglev-Fahrzeug. Die Ingenieure optimieren: Supraleiter-Magnete für mehr Effizienz, Vakuum-Röhren für minimale Reibung. Während Deutschland mit maroden ICEs kämpft, rast China voran. Der Höhepunkt? Im Juli 2021 enthüllt CRRC den Maglev 600 in Qingdao – geplant für 600 km/h, das schnellste Landfahrzeug der Welt. 2025 wird zur Sternstunde: Nach fünf Jahren intensiver Tests ist der Prototyp einsatzbereit. Er beschleunigt von 0 auf 600 km/h in nur 3,5 Minuten. Im Juni 2025 erreicht ein Testfahrzeug in Hubei sogar 650 km/h. Und im August lösen Forscher das „Tunnel-Boom“-Problem mit Schalldämpfern an Tunnelmündungen, das Schockwellen bei Hochgeschwindigkeiten verursacht. Pläne für ein nationales Netz laufen: Linien wie Guangzhou-Shenzhen, Integration in das 40.000-km-Hochgeschwindigkeitsnetz. Sogar 1.000 km/h in Vakuum-Röhren werden getestet, mit Zielen für 800 km/h noch 2025.

Im Oktober 2025 ist Chinas Maglev ein globales Statement. Aus deutschem Know-how schuf Beijing ein Imperium der Zukunft. Deutschland? Steht im Stau oder wartet auf ausfallende Züge – eine Geschichte von Innovation, Fehlentscheidung, Tragödie und fremdem Triumph.

Wikipedia: Magnetschnellbahn Berlin–Hamburg – Bestätigt Kostensteigerung auf über 7 Mrd. DM (1999), sinkende Fahrgastprognosen (6,28 Mio.), jährliches Defizit 77 Mio. DM.

Tagesspiegel: BUND: Transrapid wird noch teurer (1998) – Kosten von 6,1 Mrd. DM auf 8–9 Mrd. DM durch Umweltmaßnahmen (+1,5–2 Mrd. DM).

NDR: Von der Idee zum Aus: Eckdaten zum Transrapid (2021) – 133.000 Unterschriften (1998) gegen Berlin–Hamburg; Bahnchef Mehdorn zweifelt an Wirtschaftlichkeit.

Wikipedia: Transrapid Shanghai – Schröders Absichtserklärung Nov. 1999, Vertrag 2001 (1,293 Mrd. DM) mit Technologietransfer.

Stern: China: Die Jahre der Esel (2007) – Schröder-Regierung unterstützt Shanghai-Deal mit ca. 100 Mio. Euro Subvention aus Wirtschaftsministerium.

Tagesspiegel: China an weiterem Transrapid interessiert (2002) – Schröder verspricht Technologietransfer für Folgeprojekte, bestätigt Deal-Details 2001.

File:Transrapid 07 in Lathen (2023).jpg – Wikimedia Commons

 

 

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