Das Magnetfeld der Erde schirmt unseren Planeten unter anderem vor Strahlung aus dem All ab. Ein Zusammenbruch des Erdmagnetfeldes sorgte vor 42.000 Jahren weltweit für dramatische Klima- und Umweltveränderungen. So dokumentiert eine Studie [1] erstmals detailliert, was an diesem Wendepunkt der Erdgeschichte geschah. Elektrische Stürme, extreme UV-Werte, globale Klima- und Umweltveränderungen. Auslöser der dramatischen Ereignisse war die bislang letzte Umkehrung des Erdmagnetfeldes, ein sogenannter Polsprung. Doch am dramatischsten war die Zeit direkt vor der Polumkehrung – dem sogenannten „Adams-Ereignis”, als die Magnetpole über die Erde wanderten. „Wir hatten im Grunde überhaupt kein Magnetfeld. Unser Schutzschild gegen kosmische Strahlung war völlig weg”, beschreibt Chris Turney, Professor an der University of New South Wales, die Situation vor 42.000 Jahren. Was wissen wir wirklich darüber? Sind die Gefahren eines Polsprungs so dramatisch, wie Chris Turney beschreibt?

Ein Gespräch mit Astrophysiker Dr. Volker Bothmer von der Georg-August-Universität Göttingen.

Herr Bothmer, das Erdmagnetfeld kehrt sich immer wieder um, und eigentlich haben wir den Zeitpunkt für einen erneuten Polsprung bereits weit überschritten. Steht der Welt so ein Sprung bevor? Was ist Ihre Einschätzung?

Über die letzten 170 Jahre hat die Stärke des Erdmagnetfeldes etwa um ein Zehntel abgenommen und wir beobachten eine Wanderung der magnetischen Pole. Die letzte anhaltende Umpolung hat es vor ungefähr 780.000 Jahren gegeben. Da der mittlere Zeitraum nach wissenschaftlichen Untersuchungen über die letzten Millionen Jahre etwa 250.000 Jahre beträgt, könnte es tatsächlich sein, dass uns die nächste Umpolung demnächst bevorsteht. Allerdings geschehen diese Umpolungen nicht sprunghaft, sondern über Zeiträume von tausenden von Jahren. So gesehen war der erwähnte Zusammenbruch des Erdmagnetfeldes vor 42.000 Jahren quasi nur eine kurze Schwächephase.

Der Nordpol wandert derzeit um mehr als 50 Kilometer pro Jahr quer übers Polarmeer, und über dem Südatlantik hat es ein ausgeprägtes Loch. Gibt es dafür eine andere Erklärung als ein zeitnaher Polsprung?

Die geomagnetischen Pole unterliegen einer ständigen Wanderung, da das im Inneren der Erde erzeugte Magnetfeld kein statisches Feld ist, sondern durch Rotation elektrisch leitender Materie entsteht die permanenten Veränderungen unterworfen ist. Die sogenannte südatlantische Anomalie ist ein Bereich schwächeren Magnetfelds auf der Südhalbkugel der Erde und stellt lediglich eine Abweichung von einem idealen Dipolfeld dar, durch das die Form des gesamten Erdmagnetfeld recht gut wiedergegeben werden kann. Die Anomalie als Solche ist aber kein direkter Hinweis auf einen bevorstehenden Polsprung.

Lassen Sie die doch eher tragisch beschriebenen, doch sehr bedrückenden Folgen der Studie durch Turney gelten?

Mir sind die aufgezeigten Implikationen zu weit gespannt. Es werden dabei sehr viele verschiedene physikalische Phänomene und Systeme miteinander verwoben, angefangen mit der Änderung des Magnetfelds der Erde, weiterführend mit der Verbindung zur chemischen Zusammensetzung der Erdatmosphäre, den Einflüssen der kosmischen und solaren elektromagnetischen Strahlung und ihren möglichen Auswirkungen bius hin zu klimatischen Veränderungen. Das erscheint mir sehr konstruiert.

Gilt es als sicher, dass der Polsprung damals ein Massensterben auslöste und die Menschen danach in Höhlen lebten, um der UV-Bestrahlung zu entkommen?

Ich halte diese Annahme für sehr riskant, da solare und kosmische Teilchen und die solare UV-Strahlung vor allem durch die Luftschichten der Erdatmosphäre abgeschirmt werden. Auch ohne Magnetfelder besitzen Planeten Atmosphären die eine solche Abschirmung erzeugen, sie werden durch den anströmenden Sonnenwind generiert. Das Erdmagnetfeld besitzt gegenüber der Atmosphäre eine untergeordnete Rolle.

 

Könnten Bäume eine mögliche Quelle für präzisere Daten enthalten oder wie versucht man, sich dem Thema zu nähern?

Baumstämme, die abgestorben sind, wie z.B. nach Vulkanausbrüchen können anhand der Zerfallszeiten radioaktiver Isotope Auskunft über die Intensität der einfallenden Strahlung in den letzten Millionen Jahren der Erdgeschichte liefern. Eine direkte Bestimmung von Stärke und Richtung des Erdmagnetfeldes ermöglichen sie jedoch nicht. Unser heutiges Wissen basiert vor allem auf der Untersuchung der magnetischen Eigenschaften von Gesteinen, die aus den Ozeanböden beiderseits der mittelozeanischen Rücken hervorquellen und erstarren. Über die Methoden des Gesteinsmagnetismus lassen sich die magnetische Orientierung und Stärke des Erdmagnetfelds über Millionen Jahre rekonstruieren.

Wissenschaftler diskutieren seit einiger Zeit darüber, dass ein solcher Sprung bevorsteht. Sie sind sich aber nach wie vor uneins darüber, was ihn auslöst. Wie sehen Sie das?

Die Schwankungen und Umpolungen des Erdmagnetfeldes basieren auf langzeitlichen Veränderungen von Strömungen elektrisch leitender Materie im Erdinneren, den Prozessen des sogenannten Geodynamos. Auch andere Planeten des Sonnensystems weisen solche Dynamoprozesse und veränderlichen Magnetfelder auf. Da wir es nicht mit statischen, unveränderlichen Objekten zu tun haben, stellen solche Umpolungen natürliche Prozesse im Universum dar. In den vergangenen 160 Millionen Jahren hat es Hunderte von Umpolungen gegeben, tatsächlich wäre die nächste also statistisch längst überfällig. Aber mit absoluter Sicherheit können wir dies letztendlich nicht sagen, d.h. wir wissen bisher noch nicht nicht wann und unter welchen Umständen der Geodynamo „umkippt“.

Herr Bothmer, ich bedanke mich für das Gespräch. A.T.L

[1] https://www.science.org/doi/10.1126/science.abb8677

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