Das plötzlich russische Fallschirmverbände bereits den Flughafen der ukrainischen Hauptstadt Kiew erobern, verschlägt uns die Sprache, so war es überall zu lesen. Das ist eindeutig ein Bruch des Völkerrechts. Das ist korrekt. Fraglich aber ist, warum die Vertreter des Westens sich darüber aufregen. Gab es denn eine Intervention des Westens, die nicht auf Verletzung des Völkerrechts basierte?

Das lässt sich sehr deutlich am Krieg gegen Jugoslawien aufzeigen. 1999 stimmte die russische und jugoslawische Seite der von Washington und Berlin beabsichtigten militärischen Kontrolle Jugoslawiens durch die Nato nicht zu. Zwei Tage später stellte die Nordatlantik-Allianz Belgrad ein Ultimatum und am 24. März 1999 begann die Nato mit dem Bombardement serbischer Städte und Einrichtungen. Insgesamt waren über 200.000 Tote zu beklagen. Hinzu kamen mehrere Millionen Flüchtlinge und Vertriebene. Wir haben die Flüchtlinge aufgenommen. Und ja: Ich sehe sie immer noch in Leer am Zaun stehen, die zitternde, junge Frau, mit ihren kleinen Kindern aus dem zerstörten Jugoslawien, die noch 2002 das tägliche Essen nur aus Tupperdosen im Freien zu sich nehmen konnte. Aus Angst, dass ihr Haus über ihre Kinder und sie, dank eines Bombenangriffes, erneut zusammenbricht.

Jeder, der seinerzeit am politischen Leben Deutschlands beteiligt sein wollte, weiß um die Mühe um diesen 75 Tage andauernden Krieg gegen Jugoslawien. Es ging vor allem darum, die Russische Föderation von der Adria weit nach Osten zu vertreiben. Als der Staat Kosovo sich 2008 aus dem zerbombten Jugoslawischen gründete, wurde der Staat sofort anerkannt, auch um dort US -Stützpunkte einzurichten. Das Völkerrecht spielte dabei eher keine Rolle. Was Gerhard Schröder später auch in einem Interview zugeben wird.

Das Beispiel soll nur die Sicht auf die Dinge erklären, keinen Krieg rechtfertigen und auch keinen Völkerrechtsbruch. Den gilt immer zu verachten und Gewinner gibt es in einem Krieg nie.

Trotzdem – um eine Geschichte verstehen zu können – kommt es immer darauf an, wo man eine Geschichte beginnen lässt. Als Wladimir Putin am Abend des 21. Februar 2022 in Moskau verkündete, die beiden ostukrainischen „Volksrepubliken“ als selbstständige Staaten anerkennen zu wollen, war dieses für die EU und die USA ein aggressiver Akt. Für die russische Wahrnehmung eher eine Antwort auf den Kiewer Regimewechsel im Jahr 2014. Natürlich wurde mit der Anerkennung das Minsker Abkommen gebrochen.

Immerhin garantierte das Abkommen „Minsk II“ vom 12. Februar 2015, das Frankreich, Deutschland, die Ukraine und Russland die territoriale Integrität der Ukraine, und diese wurde mit Putins Erklärung eindeutig verletzt. Allerdings steht im Minsker 13-Punkte-Katalog eine Verfassungsreform des Landes vereinbart, deren Kern eine Föderalisierung mit weitgehender lokaler Selbstverwaltung der beiden ostukrainischen Republiken bildete. Sieben Jahre lang ist dazu kein einziger Schritt vonseiten Kiews unternommen worden. Im Gegenteil. Viele Rentner bekamen keine Rente aus Kiew und die russische Sprache wurde verboten. Seit fast acht Jahren herrscht dort Krieg und im Januar 2022 erklärte Macron, das Abkommen sei tot.

Tatsächlich besitzen die meisten Bürger dieser Teilrepubliken russische Pässe, fallen also eindeutig in die Schutzverantwortung der Russischen Föderation. Und seit dem Maidan-Putsch von 2014 werden die Bürger der beiden Teilrepubliken immer wieder von ukrainischen Terrormilizen ohne Anlass aus dem Hinterhalt erschossen. Dass allerdings autonome Zonen im Osten des Landes eingerichtet werden müssen, um ein friedliches Miteinander zu garantieren und die russische Sprache nicht verboten werden kann, um Frieden herzustellen, war auch westlichen Politikern im Jahr 2014 sehr klar. Wie Sie im Interview mit Rudolf Seiters und mir aus dem Jahr 2014 entnehmen können.

Warum und wozu gab es überhaupt das Minsker Abkommen und wie ist es entstanden?

Am 28./29. November 2013 trafen sich die 28 EU-Staaten mit Vertretern im litauischen Vilnius. Brüssel hatte für vier Länder — Moldawien, Georgien, Armenien und die Ukraine — sogenannte Assoziierungsabkommen vorbereitet. Es gab Prowestliche und Stimmen dagegen. Aus energiepolitischen Gründen lehnte die damalige Ukraine – Führung das Abkommen ab. Doch diese Ablehnung wollte man im Westen nicht akzeptieren. Vor dem Ausbruch des Maidankonfliktes 2014 hat Russland dafür geworben, das anstehende Assoziierungsabkommen in dreiseitiger Zusammenarbeit zwischen Ukraine, EU und Russland zu entwickeln. Darauf ist der Westen nicht eingegangen. Es folgten bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen der Ost und der Westukraine, da die Menschen im Osten des Landes sich an Russland, der Westen sich an Europa orientierte. Es folgte der Umsturz der Regierung und ein anhaltender Bürgerkrieg, der durch das Abkommen beigelegt werden sollte. Leider wurde es von der Regierung in Kiew nicht umgesetzt.

Einzusehen hier: Dokumentation des Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015

Heute werden in der Ukraine Straßen nach Bandera benannt. Bandera schätzte Hitler und hasste Juden. Später waren rechtsextreme und offene Nazi-Kräfte vorherrschend, nämlich die Swoboda-Partei um Oleh Tjahnybok und das Bündnis „Rechter Sektor“. Während ab 2014 vom Westen die ökonomische und militärische Unterstützung für das Regime in Kiew vorangetrieben wurde, war es in der Ost- und Südukraine immer mehr verhasst, besonders nach dem Massaker in Odessa.

Die zögerliche Haltung Russlands schuf erst die Grundlage für die Offensive des ukrainischen Regimes, das ist die verbreitete Annahme im Osten des Landes. Das erklärt die Freude der Menschen in der Ostukraine, die sich gegen die Kräfte stellte, über den Einmarsch von Russland. Das diese Kräfte am Werk waren und sind, wird nun zwar als Fakenews abgetan, die ARD berichtete aber 2014 ganz offen darüber. Natürlich leiden die Menschen derzeit unter dem Eingriff von Russland und ihnen gilt tiefstes Mitgefühl. Allerdings haben auch die Menschen in der Ostukraine in den letzten acht Jahren ebenfalls eine unglaubliche Brutalität erlebt. Woher nehmen wir das Recht zu urteilen, welches Leid mehr wiegt?

Warum russische Truppen in das ukrainische Kernland eingebrochen sind, bleibt unklar. Dieses ist unstreitig ein Bruch geltenden Völkerrechts. Es ist eher nicht davon auszugehen, dass Russland einen Dritten Weltkrieg will oder einen NATO-Staat angreift. Russland will in der Ukraine die Sicherheitsinteressen durchsetzen, die der Westen Russland in den Verhandlungen über gegenseitige Sicherheitsgarantien seit Jahren nicht zugestehen wollte. Wir alle haben uns daran gewöhnt, dass Russlands Präsident Putin sich zurückhält. In seinen letzten Ansprachen aber machte er immer wieder deutlich, dass das Zeitfenster für eine Verteidigung Russlands gegen eine geplante Einkreisung mit westlichen Atomwaffen immer schmaler wird. Die kommende Bedrohung heißt auch Deutschland: in Deutschland sind in Büchel amerikanische Atombomben gelagert. Die werden jetzt gegen eine neue Atombomben ausgetauscht. Dieser Gedanke wird in Russland eine große Rolle spielen.

Der Auslöser für das derzeitige militärische Vorgehen, dürfte aber folgender Satz des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk gewesen sein. Zur BERLINER ZEITUNG sagte er am 21. Februar: „Wir hoffen, dass die Ampel-Regierung den Ernst der Lage erkennt und sich dafür engagiert, dass die Ukraine unverzüglich völkerrechtliche Sicherheitsgarantien erhält, solange sie kein Nato-Mitglied ist. Sonst wird der Verzicht auf Atomwaffen infrage gestellt und das internationale System der Nichtverbreitung von Kernwaffen gerät ins Wanken”. Offenkundig hat die russische Führung einer atomaren Erpressung zuvorkommen wollen und begreift den Einmarsch als Kriegsverhinderung. Das zumindest kann man aus Putins Rede mehr oder weniger heraushören. Ob diese Einschätzung richtig ist, bleibt abzuwarten.

Natürlich dürfen in so einer Situation große Worte nicht fehlen. So sagte US-Außenminister Antony J. Blinken im Dezember 2021 wörtlich: «Kein Land hat das Recht, einem anderen Land vorzuschreiben, mit wem es sich verbünden will. Kein Land hat das Recht auf eine Einflusszone.  […] Wir setzen uns für einen NATO-Beitritt der Ukraine ein.»

Wenn wir Antony J. Blinken beim Wort nehmen, und es kein Problem mehr darstellt, wenn Großmächte ihre Militärbündnisse und Militärbasen bis an die Grenzen anderer Großmächte ausweiten, dürfte heute auch Kuba Russland einladen, eine Militärbasis mit Raketen im Karibikstaat zu installieren?

Welche Ziele sind erreicht und wer profitiert davon?

Nord Stream 2 ist gestoppt und damit das Ende der Gasexporte aus Russland nach Europa. Die Sanktionen werden in erster Linie Deutschland treffen. Nun werden wir umweltschädliches, teures Fracking Gas aus den USA kaufen, während die USA weiter günstiges, russisches Öl bezieht. Natürlich wird der Militärbedarf erhöht und die Öffentlichkeit zeigt Verständnis. Die öffentliche Meinung hat man in wenigen Tagen auf anti – russisch umgestellt, die in vielen Kommentaren das wiedergibt, was die Presse vorgibt. Die BRD liefert Waffen an die Ukraine, welche gegen Russland gerichtet sind. Wem könnte diese Entwicklung nutzen? Das werden Sie selbst entscheiden müssen.

Helfen könnte Ihnen bei der Entscheidung das Video in dem der Gründer und Direktor von STARTFOR George Friedman über die weltweite Geopolitik der USA und speziell in Europa spricht.  Es stammt aus dem Jahr 2014 und bezieht sich explizit auf die Ukraine -Krise.  A.T.L

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