Ein Gespräch mit Silas Neumann über Sein und Nichtsein

Silas Neumann, geboren in Deutschland, ist Theatermacher und lebt in Zwolle. In Zwolle absolvierte er eine Ausbildung zum Theaterpädagogen am ArtEZ und schloss anschließend den Masterstudiengang Theaterpraxis in Arnheim ab. In seinen Theateraufführungen, Podcasts und Videokunst erzählt er Geschichten über Dinge, die in dieser schnelllebigen Zeit kaum noch wahrgenommen werden. Seine Podcasts regen zum Nachdenken an. Der Podcast HEIMAT NEUHOF erzählt die Geschichte der Reise von Silas Neumanns Großmutter. Wie ein Fünftel der deutschen Bevölkerung musste sie wegen des schnellen Vormarschs der sowjetischen Armee aus dem heutigen Polen nach Deutschland fliehen. Für sie blieb das Land, das sie verließ, immer das gelobte Land, auch wenn sie selten darüber sprach. Die Frage der Sehnsucht sowie die unterschiedlichen Wahrnehmungen des Krieges stehen im Vordergrund. 

Jetzt plant er eine Theateraufführung über das nicht existierende europäische Dorf. Wäre es nach Siegfried Lammers, dem ehemaligen Bürgermeister von Rhede, und seinen Mitstreitern gegangen, läge dieses Dorf heute an der Grenze bei Rhede.

Herr Neumann, Sie planen im Grunde ein Stück über das Nichts. Nun könnte man sagen: Auch die weisesten Worte sind letztlich nur Gerede, wenn sie nicht zum Handeln führen. Warum ist es für Sie wichtig, zu zeigen, was hätte sein können? Was wollen Sie dem Publikum vermitteln? 

Liebe Frau Loose, ich glaube nicht, dass es bei der Aufführung um das Nichts geht. Es ist eine Performance über die Vorstellungskraft. Und die Phantasie ist die Grundlage für das Theater. In diesem Sinne ist das Thema perfekt für die Bühne geeignet. Aber Sie haben natürlich recht, dass an der Grenze zwischen Bellingwolde und Rhede nichts Greifbares mehr zu sehen ist. Für mich ist es interessant zu zeigen, wie sich unsere Denkweise in den letzten Jahren verändert hat. Die Geschichte des Grenzdorfes, das nie kam, zeigt ein wenig den Weg von der Europhorie zum Euroskeptizismus in den letzten zwei Jahrzehnten. Indem wir ein kleines Projekt heranzoomen, können wir Parallelen zur Entwicklung im großen Maßstab ziehen. Gleichzeitig möchte ich zeigen, dass es auch andere Wege gibt, mit dem Grenzland umzugehen. Es muss nicht das Ende von etwas sein.

Wenn man den Ausführungen von Herrn Lammers zuhört, hat er vor 20 Jahren noch an ein gemeinsames Europa geglaubt. Ist das, was wir heute sehen, mit diesem alten Glauben vereinbar? England ist bereits aus der EU ausgetreten, Polen und Ungarn erwägen den gleichen Schritt. Die EU-Vorschriften wirken auf sie eher wie ein Diktat. Das einst geplante europäische Dorf sollte dazu dienen, verschiedene Rechtsformen zu erproben. Es war auch als Versuchsfeld gedacht, um die Koexistenz zweier Länder zu erproben. Wenn man zurückblickt, fragt man sich, ob diese Erfahrungen heute fehlen?

Sicherlich hat in den letzten Jahren die allgemeine Skepsis gegenüber der Europäischen Union zugenommen. In der Tat hört man immer häufiger, dass sich die Menschen von Brüssel distanzieren und eher dazu neigen, sich am Nationalstaat zu orientieren. Ich denke, dass die Gründe dafür in jedem Land unterschiedlich sind. Ob die Erfahrung mit dem Bau eines Grenzdorfes die Situation verändert hätte, weiß ich nicht. Ich denke, die Veränderung wäre vor allem in kleinem Maßstab sichtbar gewesen. Es bot sich die Gelegenheit, den Nachbarn auf der anderen Seite der Grenze kennen zu lernen.

Immer mehr Unternehmen verlassen die EU, Shell hat kürzlich angekündigt, dass es seine Niederlassung von den Niederlanden nach England verlegt, weil es die CO2-Steuer nicht zahlen will. Dadurch entgehen den Niederlanden Milliardenbeträge. Natürlich kann man Shell unter Umweltgesichtspunkten kritisieren, aber wir sehen in Glasgow, dass Länder wie China, Russland und Indien nicht einmal zum Umweltgipfel kommen. Das ist immerhin die halbe Welt. Gab es eine Idee, die Wirtschaft in diesem Dorf unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit neu zu definieren? 

Es gab Pläne, das Grenzdorf autark zu machen. Wenn man bedenkt, dass diese Pläne vor 20 Jahren gemacht wurden, ist das ziemlich innovativ. Es mussten verschiedene Techniken angewandt werden. Es war von Solarenergie die Rede, aber auch von Windenergie und Geothermie. Vielleicht hätte das Dorf ein Vorreiter auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit sein können. Ich finde es besonders faszinierend, dass die Leute das gemeinsam machen wollten. Dieser Gedanke scheint nun in weite Ferne gerückt zu sein, wenn man sich die Reaktionen ansieht, die die Windmühlen auf beiden Seiten der Grenze hervorrufen.

Sie haben die Pläne des europäischen Dorfes gelesen. Glauben Sie, dass die gewonnenen Erfahrungen die Geschichte verändert oder verbessert hätten? Stellen Sie den Ist-Zustand in Frage und das, was einmal geplant war? Oder ist das gar kein Thema? 

Der Vergleich mit dem, was jetzt da ist, macht die Pläne der Vergangenheit für mich erst interessant. Die Perspektive auf das Grenzland scheint heute eine völlig andere zu sein als damals. Das hat natürlich auch mit der Pandemie zu tun, die auf nationaler Ebene bekämpft wird. Ich denke, dass die damals gesammelten Erfahrungen sicherlich zu sichtbaren Veränderungen in der Region geführt hätten. Selbst wenn das Projekt weniger prestigeträchtig geworden wäre als geplant, hätte es ein Schritt in Richtung des Nachbarn sein können. Und das hätte zu einer Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen führen können. Aber vielleicht ist das auch ohne ein Dorf möglich.

Herr Neumann, Sie arbeiten auch mit dem Na de Dam Theater zusammen, gibt es weitere neue Projekte von Ihnen?

Theatre Na de Dam ist eine Theaterinitiative, die dafür sorgt, dass das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen in den Theatern der Niederlande aktiv umgesetzt wird. Als Deutscher in den Niederlanden halte ich es für wichtig, dass dies getan wird. Sie ist ein Meilenstein in der Geschichte. Zurzeit entwickle ich auch eine Audiotour für das Puppet Festival Meppel und baue eine Installation für die Kunst-Bienale Open Art in Oerebro.

Ich danke Ihnen für das Gespräch. A.T.L.