Ein Gespräch mit Norbert Hahn (Fertigungstechnik GmbH)

Der Vorsitzender des Wirtschaftsverband Emsland Ulrich Boll erklärte bereits 2019 auf einer Pressekonferenz: “Der Fachkräftemangel bremst inzwischen das Wachstum im Landkreis.” Selbst gezielte Werbekampagnen rund um das Ruhrgebiet verzeichnen zwar einzelne Erfolge, aber keinen allgemeinen Trend ins Emsland zu ziehen, und das, obwohl das Gehalt vielerorts über dem Durchschnitt liegt.

Der Mangel an Fachkräften könnte auch für Baufirmen im Landkreis Emsland in den nächsten Jahren zu einem ernsten Problem werden. Davor warnt die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Danach gibt es in den Bauberufen zunehmend Schwierigkeiten, Personal für offene Stellen zu finden. 2019 blieben im Kreis Emsland 176 Stellen in der Branche länger als 90 Tage unbesetzt. Und das sogar in Zeiten von Corona. Norbert Hahn hat sich früh mit diesem Thema beschäftigt. Im Gespräch erläutert er Aspekte und einen anderen Blick auf den Fachkräftemangel in Handwerk, Bau und auch im Dienstleistungssektor.

Herr Hahn, die Ursachen für den Fachkräftemangel sind in allen Wirtschaftsverbänden ein großes Thema. Die Lösungssuche auch. Die bisherigen Ansätze von verschiedenen Seiten, zeigen nicht die durchschlagende Wirkung. Wo sehen Sie Wege aus dieser Situation?
Natürlich spielen ein gutes Gehalt, Förderung betrieblichen Gesundheitsmanagements, hochwertige Firmenfahrzeuge, attraktive Vergünstigungen und Ähnliches eine große Rolle. Was aber für viele Betriebe der wesentliche Punkt ist, sind die Auszubildenden, die auch nach der Ausbildung in der Firma bleiben und in der Firma durch betriebliche Weiterbildung den Weg des Aufstiegs gehen.

Genau hier sehe ich ein Problem unserer Zeit. Möglichst alle Kinder sollen studieren. Gegen ein Studium ist nichts einzuwenden, bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist aber schwierig, wenn die Mehrzahl der Menschen im Land, nur das Studium als ausschließliche gute Ausbildung ansieht. Diese Einstellung ist wiederum mit unserem Bildungssystem verbunden. Ich fand, wir hatten mit der OS und den einzelnen Schulformen ein sehr gutes Schulsystem. Und nein, ich habe die Sonderschule nicht als anrüchig empfunden, im Gegenteil. Dort wurde Menschen, die vielleicht nur dem theoretischen Teil nicht so schnell folgen konnten, durch intensive Förderung wirklich geholfen. Oft wurden das großartige Handwerker. Das galt auch für Hauptschüler. Es gab eine individuelle Förderung.Heute hat man diese Kinder alle in einer Klasse bis hin zum Realschüler. Natürlich spart das Geld. Aber wird man so einzelnen Schülern gerecht? Von den Schülern einer Klasse wird mindestens die Hälfte der guten Realschüler noch das Abitur nachholen und studieren – auch mit dem Hintergrund, sich nicht die Hände schmutzig zu machen. Was in vielen Handwerksbetrieben gar nicht mehr passiert, denn die meisten Abläufe sind heute digitalisiert. Das ist leider ein fehlendes Wissen der Eltern und auch der Schulen. Da wird Aufklärung verschlafen. Hinzu kommt, dass handwerkliches Geschick gar nicht benutzt wird. Früher bastelte man als Kind draußen Seifenkisten, Baumhäuser und erkannte dadurch, dass man diese Arbeit mag. Die Möglichkeiten diese Begabung zu erkennen, beschränken sich heute oft auf die digitale Welt.

Aber zurück zu der Klasse, wir haben also die, die ihr Abitur nachholen, andere Schüler gehen in die Ausbildung und die ganz Schwachen bleiben oft als ungelernte Kräfte zurück, weil sie in den Bereichen in denen sie stark sind, nicht so gefördert wurden, wie sie es gebraucht hätten. Was haben wir also verbessert? Ja, wir können sagen:“Alle Schüler sind gleich“, aber haben sie dieselben Möglichkeiten? Nein.Es ist ein Festhalten an der Ideologie der Gleichheit, die leider nicht realistisch ist.

Jetzt beginnen die geburtenschwachen Jahrgänge?
Ja, wir werden, damit meine ich nicht unbedingt uns, ernsthafte Probleme bekommen – denn gleichzeitig gehen immer mehr Fachkräfte in Rente. Irgendwann werden Sie Unsummen für einen „Klempner“ bezahlen müssen, weil es einfach keine mehr gibt.

Glauben Sie nicht, dass auch im Handwerk die Digitalisierung auf dem Vormarsch ist?
Das war in meiner Ausbildung bei Kolbenschmidt ein großes Thema. Viele Mitarbeiter hatten Sorgen um ihren Job. Die Wahrheit ist aber, bestimmte Abläufe können ersetzt werden, aber niemals alle. Es betrifft immer nur Teilbereiche.

Gibt es Förderungsprogramme der Bundesregierung für Ausbildung im Handwerk?
Ja, die gibt es. Allerdings nur, wenn ich einen Ausbildungsplatz errichte. Wenn ich genug Ausbildungsplätze habe, aber keine Auszubildende – ist es unerheblich für mich.

Sehen Sie eine Lösung durch die Migration? Es sind ja viele junge Menschen ins Land gekommen?
Ich kann für unseren Bereich sagen, dass es bei uns nicht funktioniert hat. Ich hatte viel Hoffnung darin gesetzt und wir hatten auch geflüchtete Menschen eingestellt. Leider hat es Komplikationen gegeben.

Wo sehen Sie die Möglichkeiten, diese Situation zu ändern?
Ich würde mir eine andere Aufklärung in den Schulen über das Handwerk wünschen. Das alleine wird aber nicht reichen, um das Ausbildungsproblem zu lösen, es muss darüber eine Gesellschafts- und Bildungsdiskussion stattfinden.

Was den Zuzug von Fachkräften betrifft, können wir hier vor Ort nur durch eine bunte Stadt punkten, denn wir werden das Ausland benötigen. Wenn wir die Niederländer, Belgier, aber auch Deutsche aus Städten anziehen wollen, brauchen wir gute, stabile Geschäfte,aber auch coole, witzige, junge Läden, wie man sie in Groningen oder Bremen findet. Weiterhin muss ein Nachtleben geben, Clubs, eine Diskothek, gute Restaurants. In Corona -Zeiten ist das natürlich schwierig, aber das ist kein neues Problem von 2020.

Wie wollen Sie neue Geschäfte ansiedeln?
Man muss innovativ sein. Was spricht dagegen, wenn Niederländer hier kleine Läden eröffnen wollen, durch ein Förderprogramm die Miete im ersten Jahr zu erlassen. Damit hätte man leer stehende Gebäude aus dem Sichtfeld und es würden junge, neue Möglichkeiten entstehen. Das ist nur eine Idee, wir werden aber nicht umhin kommen, neue Wege suchen zu müssen.

Herr Hahn, ich bedanke mich für das Gespräch. A.T.L