Die meisten Kriege werden nicht auf dem Schlachtfeld, sondern auf den Titelseiten geführt. Der Medienkrieg bestimmt das Maß der Dinge. Es wird die Legende von den Helden und den Kriegsverbrechern geschrieben und das, bevor nur ein Soldat den Boden betreten hat. Vorher allerdings stirbt schon die Wahrheit. Putin ist nun der Adolf der Neuzeit, und diejenigen, die vor kurzer Zeit den Ungeimpften noch ein Intensivbett verweigern wollten, kämpfen jetzt für Weltfrieden. Und natürlich dafür, dass alle Ukrainer, von denen mal gut 30 Prozent geimpft sind und es auch nicht vorhaben, schnell aufgenommen werden. Das ist völlig in Ordnung, lässt sich aber kaum mit dem Hass der letzten Monate gegen genau diesen Menschen erklären. Die Panik vor Covid in der Presse wird jetzt durch das nächste erzeugte Paniklevel abgelöst. Sind wir jetzt alle Feinde Russlands und lehnen russische Menschen ab? Weil Russland einen bösen Staatschef hat und Krieg führt? Deren Hintergründe kaum eine Rolle spielen. Siehe mehr im Artikel: «Geopolitik ist eine unschöne Tatsache»
Einen Krieg, der übrigens seit acht Jahren tobt. Bis dato hat dieser Krieg kaum eine Person gestört. Im Gegenteil: Man kannte die Probleme der Ukraine. Im Februar letzten Jahres titelte die Süddeutsche folgende Schlagzeile:
Ukraine: Korrupt wie eh und je
Nun heißt es: Wer nicht gegen Russland ist, ist ein Unmensch? Das scheint uns die neue Hysterie erklären zu wollen. Die Wahrheit ist doch: Im Krieg gibt es keine Gewinner. Egal, ob man für die Nato und gegen Putin ist – oder andersherum. Aber wir kämpfen weiter! Notfalls auch gegen uns selbst. Baden-Württemberg sorgt mit Zutrittsverbot für Russen für Aufsehen, erklärt uns T-Online. Auch Olga, die als Reinigungskraft arbeitet, darf nicht mehr die Intensivstation putzen, weil sie Russin ist. Die Großketten wollen natürlich nicht hinten anstehen. Aus Protest gegen den Krieg in der Ukraine hat die Discounterkette Netto alle Produkte aus Regalen genommen, die in Russland hergestellt wurden, Bahlsen produziert kein Russisches Brot mehr und Schalke 04 spielt ohne russischen Sponsoren auf den Trikots.
Währenddessen stellt sich Frau von der Leyen hin und erklärt das beschleunigte Aufnahmeverfahren der Ukraine in die EU. Alle EU-Parlamentarier klatschen freudestrahlend, dabei spielt es keine Rolle, dass es gar kein beschleunigtes Verfahren gibt und auch nicht geben wird. Alle Länder müssen einheitlich zustimmen – eine derzeit unrealistische Situation. Wenn EU-Parlamentarier für eine Prozedur stimmen, die es nicht gibt, sollte einem das ernsthaft zu denken geben.
Die Niederlande voran erklärte, diese Aufnahme stände derzeit nicht zur Diskussion. Die bösen Niederländer? Was würde denn passieren, wenn man die Ukraine im Kriegszustand in die EU und ggf. auch in die Nato aufnehmen würde? Man kann nur hoffen, dass allen Befürwortern klar ist, dass im schlimmsten Fall der Bündnisfall eintreten würde.
Während in den Straßen Berlins mehr als 100.000 Menschen für den Frieden demonstrierten, verkündete die Bundesregierung zeitgleich das größte Aufrüstungsprogramm der Nachkriegszeit. Vielen Demonstranten dürfte dieser Widerspruch nicht mal einmal auffallen. Während wir in Höchstform auflaufen, um der veröffentlichten Meinung Genüge zu tun, schreitet eine weitere Spaltung der Gesellschaft voran. Man kann nur hoffen, dass, wenn die Emotionen abgekühlt sind und der Donner in der Ukraine verhallt, die Menschen diesen Widerspruch erkennen. A.T.L.