Eines der letzten verbliebenen Atomkraftwerke Deutschlands steht in Lingen. Das Werk Lingen Advanced Nuclear Fuels GmbH (ANF), eine Tochter des staatlichen französischen Atomstromproduzenten Framatome, fertigt hier seit mehr als 40 Jahren Brennelemente für Druckwasser- und Siedewasserreaktoren an. Auch das russische Unternehmen Tenex, das mit Uranbrennstoff handelt, erhält Rohstoffe aus dem Emsland. Nun möchte der russische Atomkonzern Rosatom, bzw. das Tochterunternehmen TVEL in die Brennelementefabrik in Lingen einsteigen, die dem französischen Unternehmen Framatome gehört. Das Bundeskartellamt genehmigte das Gemeinschaftsunternehmen bereits 2021. Die Entscheidung steht nun kurz bevor: Auch wenn das BMWi kein Datum nennt, ist das Ressort des Grünen Robert Habeck laut Gesetz dazu angehalten, über eine solche “Investitionsprüfung” innerhalb von zehn Monaten zu entscheiden. Der Spiegel berichtete bereits im April 2021 darüber.

Gegen diese Pläne wendet sich ein breites Bündnis von 126 Organisationen aus Deutschland, die sich bereits direkt an Robert Habeck gewandt haben und nun den sofortigen Verzicht auf diese atompolitische Kooperation in Deutschland fordern. Antje von Broock, BUND-Geschäftsführerin, erklärt: „Der Atomausstieg ist erst dann vollendet, wenn auch die beiden Uran-Fabriken in Deutschland geschlossen wurden. Durch die geplante französisch-russische Atomunion würde aber der Weiterbetrieb der Lingener Atomanlage zementiert werden. Damit würde Deutschland dazu beitragen, dass europäische Schrott-AKWs weiterlaufen können. Wir fordern die Bundesregierung auf, den Deal zu stoppen – alles andere wäre insbesondere für die Grünen ein Glaubwürdigkeitsproblem.”

Bisher aber schweigt Habeck zum Thema. Die Gründe dafür dürften auf der Hand liegen. Deutschland ist wegen der Energiewende auf absehbare Zeit auch auf französischen Atomstrom angewiesen. Im Jahr 2020 betrug der physikalische Stromfluss in das deutsche Netz aus Frankreich rund 14 Milliarden Kilowattstunden. Den Franzosen möchte man somit eher ungern „auf die Füße treten”.

Die Gegner fordern weiterhin, Emmanuel Macron und Wladimir Putin sollten den Atomausstieg in Deutschland respektieren. Aus Sicht der Kooperationspartner verhält es sich hingegen wie folgt: Mit Framatome sichert Russland Einfluss auf wichtige Energiequellen in Europa, und sie bringt Frankreich Geld für Investitionen und neue Geschäftspartner. Sollte der Atomdeal vom BMWi genehmigt werden, würden Frankreich und Russland gemeinsam in Lingen noch bis mindestens 2032 Atomtechnik produzieren, während Deutschland bis Ende des Jahres aus der Atomenergie aussteigt.

Unabhängig davon: bahnt sich eine immer engere Kooperation zwischen Frankreich und den osteuropäischen Staaten an – eine Art Ost-West-Atomkraft-Achse rund um Deutschland. Frankreich und die osteuropäischen EU-Staaten befürworten Kernenergie mit immer größerem Nachdruck. Welche konkreten politischen und wirtschaftlichen Folgen die neue Ost-West-Atomkraft-Achse für das Verhältnis zwischen Deutschland und den osteuropäischen EU-Staaten hat, ist noch unklar.