Die USA hat ihre Käufe von russischem Öl um über 40 Prozent erhöht und bestehenden Sanktionen gegen russische Düngemittel und einige andere Waren am 24. März aufgehoben. Währenddessen werden hier immer mehr Rufe „Frieren für den Frieden" und weiteren Sanktionen laut. Ist es realistisch zu glauben, dass Deutschland Russland in die Knie zwingt? Die Sehnsucht nach Frieden ist mehr als verständlich, wären da aber nicht politische Gespräche sinnvoller, als Drohungen, Sanktionen und Kriegsrhetorik? Unabhängig davon wurde nachweislich noch nie ein Krieg durch Sanktionen gewonnen. Weiterhin ist es fraglich, ob Waffenlieferungen dem Frieden dienen. (Dazu in Kürze hier ein Interview mit dem Ex-Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses Harald Kujat).

Währenddessen schreitet die Eskalation voran. Scholz kündigte dafür ein Sonder­vermögen „Bundeswehr“ von 100 Milliarden an, das im Grund­gesetz abgesichert werden soll. Weiterhin erklärte er, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu vermeiden und, kündigte den Bau von zwei Terminals für Flüssig­erdgas (LNG) in Brunsbüttel und Wilhelmshaven an. Dass dieser Bau Jahre dauern wird und woher wir in diesen Jahren Gas beziehen werden, erklärte er nicht. Unabhängig von der Menge, des russischen Gases muss es  auch dorthin gelangen können, wo es gebraucht wird. Dafür sind aber die Leitungen nicht vorbereitet. In Europa sind viele Pipelines ganz auf eine Belieferung aus Richtung Osten ausgerichtet.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erklärte, Deutschland sei Kriegspartei und müsse „dienend führen“. Außenministerin Annalena Baerbock sagte – man wolle Russland mit den Sanktionen ruinieren und Bundeskanzler Olaf Scholz nannte in seiner Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 den russischen Präsidenten Wladimir Putin einen „Kriegstreiber“, der einen hohen Preis zu zahlen habe. Wird bei so einer Wortwahl ein normaler Umgang mit Russland je wieder möglich sein? Hilft sie den Menschen in der Ukraine?

Währenddessen stellen ukrainische Politiker Ansprüche an die deutsche Regierung, weil sie den Forderungen nicht in ausreichendem Maße nachkommen. Das kann man in gewisser Weise verstehen. Die gesamte Verschuldung der Ukraine (Stand 2020) belief sich auf 129 Milliarden US-Dollar. Die Gesamtverschuldung Landes entspricht etwa 78,8 Prozent das gesamte Bruttoinlandsprodukt. Allein im laufenden Jahr müssen davon voraussichtlich 6 bis 14 Milliarden US-Dollar zurückgezahlt werden. Bereits 2018 verließen etwa acht Millionen Ukrainer ihre Heimat auf der Flucht vor Armut und Arbeitslosigkeit.

Neben Kriegsrhetorik setzt inzwischen irrationale Hysterie ein, die man kurz vor dem 1. Weltkrieg erleben konnte. Zumindest stellt es sich geschichtlich so dar. Das Verständnis dafür, es den Serben nach dem Attentat des österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand zu „zeigen", führte zur Juli-Krise, an deren Ende der Beginn des Ersten Weltkriegs stand.

Vier Tage nach dem Abzug der Russen aus Butscha, wurde über ein angebliches Massaker an der Zivilbevölkerung von Butscha, berichtet. Von hier aus kann man schwer beurteilen, ob Menschen in Butscha von russischen Soldaten ermordet wurden oder ob die Geschichte über getötete Zivilisten einen anderen Hintergrund hatte. Beides scheint möglich. Erschreckend aber ist, die Hysterie, die mit emotionalen Bildern erzeugt wird und von dem dann der ultimative Schritt gesetzt werden soll – der vollständige Boykott von russischem Gas und Erdöl. Ein Import-Embargo wird damit immer wahrscheinlicher und die Kosten, die vor allem die deutsche Volkswirtschaft tragen wird, werden hoch sein. Hinter all dem steht das Argument, Gas- und Öl-Importe aus Russland würden den russischen Krieg in der Ukraine finanzieren. Doch so populär, oberflächlich und verständlich dieses Argument sein mag – es ist falsch. Durch die Sanktionen haben die Exporteure und die russische Zentralbank keinen Zugriff auf dieses Geld und können es somit nicht für Waffen ausgeben.

Ein bisschen weniger „Heizen oder Duschen" und verdoppelte Preise – und schon zwingen wir Putin in die Knie? Ein Boykott und damit ein Stopp von Erdgas und Erdöl wird die europäische Wirtschaft nur schwer verkraften. Aus vielen Branchen kommen bereits die Warnungen, es könnte einen massiven Arbeitsplatzverlust geben, so die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie. Auch aus der Stahlindustrie kommen besorgte Töne. „Ohne Erdgas aus Russland wäre eine Stahlproduktion zurzeit nicht möglich", erklärte die Wirtschaftsvereinigung Stahl. Den Warnungen schlossen sich die Arbeitgeber der Metall- und Elektroindustrie an. Ein solcher Schritt werde „kurzfristig dazu führen, dass Prozesswärme für die Industrie und das produzierende Gewerbe nicht mehr zur Verfügung steht", so der Hauptgeschäftsführer Oliver Zander des Branchenverbands Gesamtmetall. „Wir hätten innerhalb kürzester Zeit in vielen Bereichen Produktionsstopps", betonte er. Etwa in der Lebensmittel- und Fleisch- und chemischen Industrie. Auch Christoph M. Schmidt, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Essen (RWI) warnt, es sei derzeit „nahezu unmöglich, belastbare Aussagen über die Größenordnung der damit verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen zu treffen". Wenn man diese Warnungen ernst nimmt, würden allein aus diesen Bereichen über 35 Millionen ihre Arbeit verlieren und die sozialen Systeme würden kollabieren.

Trotz dieser Aussagen haben aber unzählige Vertreter der Wissenschaft aus dem In- und Ausland einen öffentlichen Aufruf an die Bundesregierung unterzeichnet. Ihre Forderung: Sofortiger Importstopp für russisches Öl und Gas. Russland ist der zweitgrößte Produzent von Erdgas, der drittgrößte von Erdöl, nicht nur bei den Energierohstoffen, sondern auch von den mineralischen und nicht-mineralischen Rohstoffen, insbesondere Nickel, Titan, Aluminium, Kupfer, Palladium und unerschöpfliche Rohstoffe aller Art.

Die arabische Welt steht fest hinter den Russen. Überraschend viele Länder ziehen bei den Sanktionen nicht mit, wie man der Karte (unten) entnehmen kann. In einigen Fallen führen Abhängigkeiten dazu, oft aber auch die Suche nach eigenen Vorteilen. Indien will Russland Öl zu Discountpreisen abkaufen und arbeitet nun an einem Zahlungsmechanismus, um Sanktionen des Westens zu umgehen. Israel würde sich den Amerikanern anschließen, in der aktuellen Krise jedoch sind sie vorsichtig, da große jüdischen Gemeinden in Russland und der Ukraine davon betroffen wären. Venezuela ist als einer der wichtigsten Erdöl-Produzenten seit Jahren auf einem pro-russischen Kurs, hat eine Vertiefung der militärischen Zusammenarbeit mit Russland bekannt gegeben.

Der Rubel ist jetzt die einzige Gold gedeckte Währung der Welt und die Sanktionen helfen China gerade, die Dollarhegemonie im Welthandel zu beseitigen. Von daher wird China natürlich weiterhin an der Seite Russlands stehen und seine Vorteile nutzen. Ungarn und die Slowakei erklärten sich nun bereit Öl in Rubel zu zahlen und vermutlich werden andere Länder folgen. Die Idee, ein Boykott könnte Russland wirtschaftlich in die Knie zwingen, mag für viele eine realistische Vorstellung sein, wenn man sich allerdings die Weltkarte anschaut, dann mag man daran zweifeln. Zweidrittel der Welt werden nicht nur weiterhin mit Russland Handel treiben, sondern ihn verstärken. A.T.L

Die orange eingefärbten Länder erheben derzeit Sanktionen gegen Russland.

 

Bild1. Russisch-ukrainische Gegensätze und Machtphantasien zulasten der Menschen beider Völker. Foto | Illustration: Prachatai(Link ist extern) -  an independent, non-profit, daily web newspaper established in June 2004. Quelle: Flickr(Link ist extern). Diese Illustration ist mit der CC-Lizenz Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 2.0 Generic (CC BY-NC-ND 2.0(Link ist extern)) lizenziert.

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